Freitag, 26. August 2011

"BILD.de" und die Nazis: heute so, morgen so

Oder: wie man sich einen Wissenschaftler kauft - und einen Unbequemen loswird


Ja Servus,

es ist zum Haare raufen.

Wenn BILD.de ein Sternzeichen hätte, wäre es "Schnecke". Denn die haben ja mal so überhaupt gar kein Rückgrat. Mal gehen sie mit einer Nachricht so um...und mal ganz anders. Wies grad passt.

Diesmal: Malte Engelmann.
Da fällt der Bremer CDU-Politiker aus der Rolle und verwendet den Satz "Kauft nicht bei Juden" in seinem Blog bzw. auf seiner Homepage. Das ist natürlich suboptimal. Da verbreitet der ja Nazi-Parolen, und das geht nicht. Also jault BILD.de auf: "Nazi-Skandal um Bremer Jung-Politiker". 

So weit stimmts ja noch. So lange man den Hintergrund nicht kennt. Und der steht -natürlich- nur unvollständig bei BILD.de: Engelmann habe sich mit dem unpassenden Vergleich gegen Islam-Ressentiments in seiner Partei wehren wollen. Doch zu Engelmanns Beweggründen später mehr.

BILD.de natürlich, nicht faul, zitiert sofort einen Politologen als Fachmann heran. Es eilt, den Satz wissenschaftlich einzuordnen, herbei: Dr. Christoph Kopke. Und der sagt pflichtgemäss: 
"Das geht nicht! Islam-Angst kann man auf keinen Fall mit diesem Nazi-Spruch gleichsetzen. Diese Parolen taugen überhaupt nicht für eine politische Auseinandersetzung. Man kriegt einen Schreck, wenn man das liest."
Okay, das schlucken wir auch noch. Naja, für sich gesehen hat er ja auch recht.

Aber:
Lieber Herr Kopke, WO waren Sie eigentlich, als Jürgen Fliege DIESEN Satz sagte:

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Ja, geneigter Leser, Sie lesen richtig: das ist ja genau das gleiche. Nur: Jürgen Fliege sagt diesen Satz nicht auf seiner Homepage oder in seinem Blog, sondern auf BILD.de selbst. Und der Satz bleibt völlig unkommentiert, er steht da einfach, und er steht da noch immer! Kein Aufjaulen von BILD.de, keine heisere Schlagzeile, und kein Politologe. 
Wir hatten den Satz schonmal angeprangert, vor allem die fehlende Reaktion der BILD-Redaktion darauf. Passiert ist natürlich nix...dafür sind wir zu klein. 

Und das heisst, der Satz steht da weiterhin! Diese unsägliche Holocaust-Relativierung des Herrn Fliege, auch noch verbunden mit der konstruierten Opferrolle der faschistoiden Scientologen. Eine Verhöhnung von sechs Millionen ermordeten Juden: die gefolterten, schikanierten und vertriebenen gar nicht mitgezählt. Ein Satz, den wir eher von John Travolta oder Tom Cruise erwartet hätten. Oder von David Miscavige

Also, Herr Dr. Kopke: DA hat Sie keiner von BILD.de angerufen und gesagt: "Machen sie doch mal'n Statement dazu!" Nicht wahr? Wir sind eigentlich der Ansicht, dass dieser Satz von Herrn Fliege ein viel grösserer Anreiz für einen Wissenschaftler wie Sie gewesen wäre, sich zu Wort zu melden und die Sache einzuordnen. 
Oder: sollte es für Ihre Haltung der BILD.de-Redaktion gegenüber eine Rolle spielen, dass Sie vom Springer-Konzern (zu dem BILD ja gerüchteweise gehören soll), Forschungsmittel erhalten?!? Hä?
Wessen Namen finden wir da auf dieser Liste der Zuwendungen der Springer-Stiftung an Wissenschaftler? Etwa Ihren?


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Hält man die Klappe ob des unsäglichen Fliege-Geseiheres in einem redaktionellen BILD.de-Beitrag, wenn man von Springer bezahlt wird? Und meldet sich nur zu Wort, wenn man gebraucht wird, um einen unbequemen, weil nicht islamfeindlichen, CDU'ler loszuwerden? Oder was?

So, und nun zum Hintergrund: jetzt ordnen WIR das mal ein, mithilfe der taz.

Natürlich, auch wir wehren uns, wenn der Holocaust so platt relativiert wird. Das ist immer gefährlich. Und kurz gesagt, Herr Engelmann: das war echt ein Griff ins WC. Eine andere Formulierung wäre besser gewesen. Eigentlich wäre jede andere Formulierung besser gewesen.

Aber:
die unterschiedlichen Reaktionen auf Fliege und Engelmann sowie die unterschiedlichen Beweggründe der beiden sind schon sehr befremdlich. Engelmann wollte zuspitzen und islamfeindliche Trends in der CDU kritisieren. Fliege hingegen hat den Satz nur eingesetzt, um hemmungslos Kohle zu machen. Und keiner sagt was (vom Politblogger mal abgesehen).

Von der taz (s. u.) mal abgesehen, macht sich niemand die Mühe*, den Hintergrund zu beleuchten. Nein, man drängt Engelmann zum sofortigen Rücktritt. Dabei hat er gar nicht dazu aufgefordert, "nicht bei Juden zu kaufen", wie es perfiderweise jetzt dargestellt wird. Sondern es war eine -wenngleich äusserst unpassende und geschmacklose- satirische Zuspitzung gegenüber einem "Parteifreund", der Engelmanns Aussage nach "islamfeindlich" eingestellt sei, und ihn, Engelmann, wegen seines offenen Umgangs mit Muslimen kritisiert hatte.

Der ganze Hintergrund ist bei der taz nachzulesen, und dann versteht man auch den Kontext des Originaltextes von Malte Engelmann. Engelmann ist nun politisch tot, während Flieges Satz bislang weitgehend unbemerkt im Netz vor sich hin wabert und unwidersprochen ist. Ein echter Skandal: danke, liebe Schnecken von BILD.de.

Verkehrte Welt. 

Naja, wenigstens hat man jetzt geschafft, dass der als "modern und gemässigt" geltende Engelmann nun aus dem Weg ist. Dann kann man ja nun versuchen, als seinen Nachfolger jemanden zu installieren, der seinem Vorgänger im Amt des JU-Vorsitzenden in Bremen ähnlicher ist. Der soll nämlich ein "Rechtsaussen" gewesen sein, wie die taz schreibt.

So long

Der Falke
*Edit: 26.08.2011, 18:22 Herr Heinser hat sich inzwischen die Mühe gemacht, den Hintergrund zu beleuchten. Vielen Dank.